Das alte und das neue Leben

Peter Willnauer (Österreich)

Schüler war ich eigentlich nie gern, Lehrer schon, meistens, in den fast vierzig Jahren meiner Dienstzeit: zuerst 10 Jahre in einer Dorf-Volksschule, später als Hauptschullehrer und dann 26 Jahre an der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz als Übungsschullehrer und Didaktiker (Geschichte, Medienpädagogik, Schulpraxisbetreuung). Ich halte mich für einen der neugierigsten Menschen, die ich kenne. Vielleicht liegt es an dieser Neugier, dass ich mich nie richtig gelangweilt habe, nicht in der Klasse, nicht im Seminar, obwohl sechsundzwanzig Jahre schon lang sind und ich mir manchmal vorgekommen bin wie ein Wüstenbrunnen, der ausgetrocknet ist und aus dem die Menschen immer noch versuchen, mit ihren Blecheimern Wasser herauszuziehen, und das scheuert und kratzt an den Brunnenwänden ... und tut weh. Aber meist war die Lust auf andere Menschen, Dinge, Länder, Bücher, Musiken ... wieder lindernd und heilend.

Und der „Umstieg“?

Am ersten Tag meines „neuen“ Lebens – und für mich ist dieses Leben wirklich ein neues Leben und nicht ein Abgetrenntsein vom „alten“ – stieg ich allein mit einem großen Rucksack in den Zug nach Venedig und am Abend auf die Fähre nach Patras. Zwei Wochen lang pilgerte ich dann zu all den „Heiligen Stätten“ auf der Peloponnes, die ich so oft meinen Schülern und Studenten nahezubringen versuchte (ohne sie je selbst erlebt zu haben – typisch Lehrer?). Das war ein schöner, manchmal nicht ganz einfacher Anfang – von Andre Heller gibt es ein Lied, das beginnt mit der Zeile: „Allan sein ist ärger als Ratzn fressn.“

Und „jetzt“?

Keine Sehnsucht nach dem „alten Leben“. Nur manchmal, wenn ich einen interessanten Artikel, einen wichtigen Film oder Ähnliches finde, ertappe ich mich bei dem Gedanken:

„Das wär’ doch etwas für’s Seminar.“ Ein Schlüsselsatz für mein „neues Leben“: ICH KANN ALLES TUN, MUSS ES ABER NICHT! So spüre ich gerade meiner Vergangenheit nach (ich bin ein „Kriegskind“), meinen Wurzeln, recherchiere, forsche, schreibe, lese, kompiliere, ordne ... und vielleicht wird einmal etwas daraus, vielleicht nimmt es einmal Gestalt an ...

Und „dann“?

Vor ein paar Tagen habe ich Folgendes geschrieben (in Umkehrung einer Stelle aus Christa Wolfs „Kindheitsmuster“ – ein Buch, das mich sehr beschäftigt):

GUTE GÖTTER UND GÖTTINNEN

Bewahrt uns im Alter vor dem Schwinden jeder Erwartung

Laßt uns auch im Alter noch von Dingen und Menschen verzaubert sein

Erhaltet uns / die Neugier / die Liebesfähigkeit / und die Sehkraft

Erhaltet uns / Wünsche / und Hoffnungen

Erhaltet uns die Fähigkeit / uns zu freuen / uns aufzulehnen / und überrascht zu sein

Und vor allem GUTE GÖTTER UND GÖTTINNEN

Laßt uns die / Sehnsucht

Oder: schenkt uns wenigstens die eine oder die andere dieser Gaben ...