Lisa Leitner
wer das denkt, der irrt sich sehr! In Österreich schon nicht und erst recht nicht hier in Amerika. Ich bin ja auch in Österreich schon immer eine vehemente Gegnerin von Aussagen wie: „Als Lehrer/in hat man dauernd Ferien” und „Ihr arbeitet ja eh nur 20 Stunden und bekommt 40 bezahlt” ...
Denn als „frische”, junge, dynamische Sonderschullehrerin, voller Illusionen, war ich schon immer davon überzeugt, dass, wenn man seine Arbeit als Lehrer/in gut macht, man nicht einmal mit vierzig Stunden auskommt. Beweisen konnte ich das bisher noch nicht, da ich noch nicht als Lehrerin gearbeitet habe. Bis August diesen Jahres, als ich durch die Organisation VIE (Vienna International Exchange) die Möglichkeit bekam, als Lehrerin in Atlanta, Georgia, zu arbeiten.
Mir war schon klar, dass man als Lehrer/in in Amerika von 8 bis 15 Uhr in der Schule ist, aber ganz so klar war es mir dann doch nicht. Man mag es glauben oder nicht, aber die erste Zeit war eine 70-Stundenwoche keine Seltenheit. Von 7 bis 16 Uhr in der Schule, manchmal länger, und dann bis Mitternacht vorbereiten. Mittlerweile muss ich sagen, habe ich schon einen Gang zurückgeschaltet, der erste massive Über-Perfektionismus ist verflogen, und der Lehreralltag hat mich. Der hat mich gelehrt, dass es auch mit ein bisschen weniger geht. Betonung auf bisschen.
Abgesehen von der Arbeitszeit und dem Arbeitsaufwand, ist mein erstes Jahr als Lehrerin sehr spannend, lehrreich, interessant, lustig. Sprachschwierigkeiten sind fast nicht mehr vorhanden, obwohl ich doch quasi jeden Tag was Neues lerne. Der „Slang”, den meine Kinder in der Schule sprechen, bringt mich oft zum Lachen. Wenn man von einem Wort nämlich nur die Hälfte hört, weil die andere Hälfte schlichtweg verschluckt wird, tut man sich als Englisch-Lerner schon ein bisschen schwer. Aber meine Kinder wissen, dass ich von irgendwo anders her bin (wo genau können sie sich oft nicht so ganz merken, denn Austria könnte ja doch in China sein …), und bemühen sich meistens, damit ich sie auch verstehen kann. Sie schauen aber auch, dass ich „ihr” Englisch lerne und machen mich regelmäßig darauf aufmerksam, dass man das hier aber so ausspricht, und nicht so wie ich.
Das Interesse meiner Kinder an meiner Kultur, meinem Land und meiner Sprache ist groß. Die meisten haben noch nie jemanden getroffen, der nicht Amerikaner, Chinese oder Hispano ist. Sie können sich schwer vorstellen, dass es ein Land gibt, wo man eine andere Sprache spricht, wo es Schnee und viele Berge gibt, und das so weit weg ist, dass ich wirklich nicht jeden Tag nach der Schule heimfliege. Was mich am meisten überrascht hat, war, dass meine Kinder nicht wirklich einen Unterschied zwischen schwarz und weiß machen. Der Großteil des Lehrkörpers und der Schüler sind schwarz. Eigentlich alle, denn mir sagen sie immer wieder, dass ich nicht weiß bin. Nein, ich bin nur „hellhäutig”, wie sie es nennen, denn sie glauben uns auch, dass meine schwarze Kollegin und ich Zwillingsschwestern sind … dass Kinder offensichtlich nicht schwarz-weiß denken, sollte uns Erwachsenen doch zu denken geben.
Für mich war dieses Jahr bisher sehr lehrreich. Es ist ein völlig anderes System als in Österreich, mit all seinen Vor- und Nachteilen, zwar sehr arbeitsintensiv, aber wer weiß, wie mein erstes Jahr als Lehrerin in Österreich wäre. Das werde ich in ein, zwei Jahren wissen, wenn es wieder heim nach good old Austria geht und ich meine Erfahrungen, die ich hier machen konnte, mit meinen neuen Arbeitskolleginnen und -kollegen in einer österreichischen Schule teilen kann.