Sigrid G.
Ich war gerade 19 Jahre alt geworden und mein Sohn 7 Monate, als ich mein Studium an der Pädagogischen Akademie begann. „Mit einem Kind kannst du nicht studieren!“, hatte man mich wissen lassen. Trotzdem – oder gerade deswegen – wollte ich es tun. Die erste Zeit pendelte ich zwischen Wohn- und Studienort, bekam dadurch mein Kind kaum zu sehen – eine unerträgliche Situation für mich. Eine Wohnung am Studienort musste schnellstens gefunden werden und eine Tagesmutter ebenso. Das alles sollte jedoch mit möglichst geringen Kosten verbunden sein, da der Vater meines Kindes keiner geregelten Arbeit nachging, ich keinen Anspruch auf irgendeine staatliche Unterstützung hatte und meine Eltern keinesfalls um Hilfe bitten wollte – schließlich wollte ich ja meine Unabhängigkeit von ihnen beweisen.
„Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Dieser Spruch hat sich für mich in jener Zeit sehr oft bewahrheitet. So meldeten sich z.B. auf meine Annonce, in welcher ich eine „Beinahe-gratis-Ganztagsbetreuung“ für mein Kind suchte, gleich mehrere Menschen, die zu helfen bereit waren. Es tat gut, in schweren Zeiten die Hilfsbereitschaft fremder Menschen zu spüren. Und schwere Zeiten gab es genügend: Die vielen Morgen z.B., an welchen ich meinen Sohn bei der Tagesmutti ablieferte und mir sein Weinen die Trennung so schwer machte, oder der Tag, an dem ich von der Sportwoche heimkam und er mich beinahe nicht wiedererkannte. Oder auch jener Tag, an dem meine Tagesmutti ausfiel und ich deshalb an einer naturkundlichen Exkursion nicht teilnehmen konnte, weil mir der zuständige Professor verbot, mein Kind mitzunehmen, mir stattdessen aber mehrere umfangreiche schriftliche Ersatzleistungen aufbrummte. Oder die Tage, an denen ich nicht wusste, woher ich das Geld für die Windeln nehmen sollte oder ich mir selber nichts mehr zu essen kaufen konnte, weil mein letztes Geld für die Babynahrung draufgegangen war.
Für meinen Sohn hatte ich nur wenig Zeit, da die meisten Seminare an der Akademie mit dem Prädikat „anwesenheitspflichtig“ versehen waren. Kam ich endlich nach Hause, nützten wir beide diese schönste Zeit des Tages jedoch ganz intensiv und kosteten sie bis zur letzten Minute aus. Arbeiten für Haushalt und Studium mussten warten, bis mein Sohn schlief. Studentenfeten kannte ich mehr oder weniger nur vom Hörensagen. Zeit, um intensive Kontakte zu Studienkolleginnen zu pflegen, hatte ich nicht. Außerdem erschienen mir deren „Probleme“ oft ziemlich lächerlich im Vergleich zu meinen.
Trotz aller Widrigkeiten schloss ich mein Studium ab. Und als mir in meinem dritten Dienstjahr zum ersten Mal eine erste Schulstufe zugewiesen wurde, hatte auch mein Sohn gerade mit der Schule begonnen, sodass es mir nicht schwerfiel, mich auf diese Altersstufe einzustellen.
In meiner Studienzeit habe ich gelernt, dass man im Leben alles erreichen kann, wenn man wirklich will, und dass Probleme dazu da sind, um gelöst zu werden. Erst jetzt, wo ich zurückdenke, ist mir bewusst, was ich geschafft habe. Damals, als ich mittendrin steckte, hatte ich nicht das Gefühl, großartige Dinge zu leisten – alles was ich tat, war einfach notwendig. Und heute, nach zehn Jahren im Beruf, weiß ich, dass mein Weg der richtige war und ich keinen schöneren Beruf hätte wählen können!